Wahlprüfsteine der Türkischen Gemeinschaft in Deutschland

Die Türkische Gemeinschaft in Deutschland hat mir Fragen geschickt und ich antworte. Im Folgenden finden sich die Fragen und Antworten.

 

Politische Teilhabe

Frage 1:

Die Möglichkeit, sich am politischen, kulturellen und wirtschaftlichen Leben zu beteiligen und diese zu nutzen, stärkt das Gefühl von Zugehörigkeit und macht Engagement und Verantwortungsübernahme erst möglich. Werden Sie sich für ein Bundespartizipations- und Integrationsgesetz einsetzen?

Antwort:

Als Einwanderungsland wollen wir, dass alle Menschen durch gute Integration am gesellschaftlichen Leben teilnehmen. 2016 ist das Integrationsgesetz in Kraft getreten, das Geflüchteten den Zugang zum Spracherwerb erleichtert und Hürden beim Eintritt in Ausbildungs- und Arbeitsmarkt abbaut. Schutzsuchende mit Bleibeperspektive wollen wir unterstützen, sich rasch in Arbeitswelt und Gesellschaft zu integrieren. Weitere Maßnahmen werden dabei u.a. sein: Öffnung der Integrationskurse für alle Asylsuchenden und Geduldeten; Verbinden von berufsbezogener Sprachförderung mit arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen; Kita-Besuch für alle Kinder; verbesserte Anerkennung von ausländischen Bildungsabschlüssen sowie ein dauerhaftes Bleiberecht für Ausländer, die hier erfolgreich ein Studium abgeschlossen haben.

Für erfolgreiche Integration ist ehrenamtliches Engagement unverzichtbar: in der Nachbarschaft, im Sportverein, in sozialen Einrichtungen, bei den Wohlfahrtsverbänden oder eben in Migrantenorganisationen. Teilhabe ist Grundvoraussetzung dafür, dass Menschen sich als Teil der Gesellschaft verstehen. Teilhabe heißt auch Beteiligung am politischen, kulturellen und gesellschaftlichen Leben – auch an zivilgesellschaftlichen Engagementmöglichkeiten und an politischen Entscheidungsprozessen. Das schließt insbesondere das Recht ein, an demokratischen Wahlen teilnehmen zu können. Deshalb setzen wir uns auch für die Ausweitung des Wahlrechts ein – beispielsweise für dauerhaft ansässige Drittstaatsangehörige auf kommunaler Ebene.

 

Frage 2:

Etliche Menschen mit Migrationsgeschichte engagieren sich in ihren Communities ehrenamtlich: In der Flüchtlingshilfe, im Bereich der Bildung von Kindern und Jugendlichen oder in vielfältigen Nachbarschaftsprojekten. Befürworten Sie die finanzielle Unterstützung migrantischer Organisationen?

Antwort:

Wir werden die finanziellen Mittel für die Förderung des bürgerschaftlichen Engagements insgesamt deutlich aufstocken und strukturell absichern. Wir wollen, dass dafür eine

Deutsche Engagementstiftung gegründet wird. Über die Stiftung kann auch die Zivilgesellschaft, darunter Vereine, Kirchen und Nichtregierungsorganisationen, über den Einsatz der Mittel für die strukturelle Förderung des Engagements mitentscheiden.
Den Bundesfreiwilligendienst, im Rahmen dessen auch das geregelte Engagement von und für Geflüchtete möglich ist, und die Jugendfreiwilligendienste werden wir finanziell weiter aufstocken.
Das Patenschaftsprogramm „Menschen stärken Menschen“ ist vorbildlich. Damit werden Freiwillige gefördert, die sich der zu uns geflüchteten Menschen annehmen und so einen wichtigen Beitrag zu einer gelingenden Integration von Flüchtlingen leisten. Denn ein persönlicher Kontakt auf Augenhöhe ermöglicht es, voneinander zu lernen und längerfristige Beziehungen oder Freundschaften aufzubauen. Durch den direkten Austausch und das Entdecken von Gemeinsamkeiten und Unterschieden lernen sich beide Seiten kennen und schätzen und profitieren voneinander. Vorurteile und Ängste können im alltäglichen Miteinander abgebaut werden. Gerade die freundschaftliche Beziehung zu Einheimischen ermöglicht Geflüchteten das Gefühl gesellschaftlicher Akzeptanz. Dieses Programm wollen wir ausbauen.

Frage 3:

Menschen mit eigener bzw. familiärer Migrationsbiografie sind in politischen
Parteien sowie in der öffentlichen Verwaltung massiv unterrepräsentiert. Befürworten bzw. planen Sie entsprechende Zielquoten in den Bundesbehörden bzw. für Ihre Partei?

Antwort:

In unserem Land haben rund 20 Prozent der Menschen einen Migrationshintergrund. Wir wollen, dass sich der Anteil von Menschen mit familiären Einwanderungsgeschichten auch in der Zusammensetzung des öffentlichen Dienstes niederschlägt. Wir stärken die interkulturelle Öffnung der Verwaltung durch die Weiterentwicklung des Integrationsgesetzes. Zielvorgaben, Ausbildungskampagnen und faire Bewerbungsverfahren unterstützen diesen Prozess.

Die SPD hat sich in ihrem Organisationspolitischen Grundsatzprogramm, beschlossen auf dem Bundesparteitag im Dezember 2011, zu einer verstärkten interkulturellen Öffnung der Partei bekannt.
Die SPD setzt sich für soziale Gerechtigkeit in einer offenen und solidarischen Gesellschaft ein. Das bedeutet, allen Menschen, die in unserem Land leben, gleiche Chancen zu geben, unabhängig von ihrer Herkunft. Das sind unser historisches Selbstverständnis und unser Auftrag für die Zukunft. In einer Zeit, in der immer mehr Menschen unterschiedlicher Herkunft, Religion und Weltanschauung in unserem Land zusammenleben, muss auch die SPD vielfältiger werden, um Volkspartei zu bleiben.

Wir eröffnen deshalb Menschen, die oder deren Vorfahren nach Deutschland eingewandert sind, bessere Chancen denn je, in unsere Partei einzusteigen und in ihr aufzusteigen. Die SPD hat sich verpflichtet, dass in allen Führungsgremien der Bundespartei zukünftig 15 Prozent der Mitglieder über eine Migrationsgeschichte verfügen. Alle anderen Parteigliederungen sollen, auf ihre konkrete Situation bezogen, eigene Ziele abstecken. Der SPD Parteivorstand benennt aus seinen Reihen eine/einen Verantwortliche/n für die interkulturelle Öffnung der Partei, die/der den Gremien regelmäßig über die Fortschritte in diesem Bereich informiert und Handlungsempfehlungen für die weitere Öffnung gibt. Vor Ort übernehmen die Mitgliederbeauftragten eine besondere Verantwortung für die interkulturelle Öffnung der Partei.

Anti-Diskriminierung

Frage 4:

Viele zivilgesellschaftliche Organisationen setzen sich gegen gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit und Rassismus und für eine friedliche, demokratische Gesellschaft ein. Die Politik unterstützt derartige Arbeit bislang weitgehend über spezifische

Förderprogramme mit (meist) vorübergehendem Modellcharakter. Finden Sie, dass demokratisches Engagement gegen Rassismus und Menschenfeindlichkeit eine nachhaltige gesetzliche Grundlage erhalten sollte (bspw. in Form eines Demokratiefördergesetzes)?

Antwort:

Wir halten eine bundesgesetzliche Grundlage in Form eines Demokratiefördergesetzes für unverzichtbar und dringend notwendig, da lokale Initiativen und Einrichtungen, die sich für Demokratie und gegen Menschenfeindlichkeit einsetzen, eine gesicherte Finanzierung und verlässliche Rahmenbedingungen brauchen. Die ehemalige Bundesministerin Manuela Schwesig hat bereits im August 2016 einen Entwurf für ein Demokratieförder- und Extremismuspräventionsgesetz vorgelegt. Leider hat die Union das entsprechende Verfahren blockiert. Wir werden jedoch weiter an diesem Vorhaben festhalten, um die Projektförderung zu intensivieren und zu stabilisieren.

Frage 5:

Deutschland hat 2006 mit dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) ein spezifisches Gesetz zur Bekämpfung von Diskriminierung auf den Weg gebracht. Im AGG ist das Verhältnis zwischen Bürger*in und Staat allerdings weitestgehend ausgeklammert – obwohl Studien belegen, dass sich gerade dort (etwa im Bereich Schule, Polizei, Verwaltungsbehörden) institutionell verankerter Rassismus niederschlägt. Unterstützen Sie eine Erweiterung der Antidiskriminierungsgesetzgebung auf den staatlichen Bereich?

Antwort:

Ja, wir werden das AGG weiterentwickeln und hierfür die Antidiskriminierungsstelle des Bundes stärken sowie den Anwendungsbereich des AGG auf staatliches Handeln ausweiten.

Frage 6:

Die Aufdeckung der NSU-Mordserie war insbesondere für die türkeistämmige Bevölkerung ein Schock. Die Lücken in der Aufklärung der Morde und bzgl. der Verwicklungen der einzelnen Verfassungsschutz-Behörden brachten und bringen institutionellen Rassismus zum Vorschein. Das Vertrauen in die deutschen Sicherheitsbehörden konnte bislang nicht wiederhergestellt werden.

Unterstützen Sie die konsequente Umsetzung der Empfehlungen des NSU- Untersuchungsausschusses des Bundestags?
Sind Sie für einen erneuten Untersuchungsausschuss im Bundestag?
Sollte es Ihrer Meinung nach grundlegende Reformen im Bundesamt für Verfassungsschutz geben, insbesondere im Hinblick auf das Einsetzen von V-Leuten?

Antwort:

Die SPD unterstützt die Umsetzung der Empfehlungen des NSU- Untersuchungsausschusses.
Eine wichtige Erkenntnis aus dem NSU-Verfahren ist, dass Sicherheitsbehörden besonders sensibel auf antisemitische, rassistische und sonstige menschenverachtende Einstellungen in den eigenen Reihen reagieren müssen. Wir werden sie dabei mit geeigneten Programmen unterstützen.
Ob von weiteren Untersuchungsausschüssen nach den bereits erfolgten zwei NSU- Untersuchungsausschüssen noch neue Erkenntnissen überhaupt zu erwarten wären oder ob die erforderliche weitere Aufarbeitung besser auf andere Weise betrieben werden kann, ist sorgfältig zu prüfen.
Das Bundesamt für Verfassungsschutz soll als Frühwarnsystem für unsere freiheitliche und demokratische Gesellschaft funktionieren. Den Reformprozess des Bundesamtes werden wir fortsetzen. Dabei haben wir bereits in der jetzt zu Ende kommenden Wahlperiode den V- Leute-Einsatz im Bundesamt für Verfassungsschutz reformiert und einen klaren gesetzlichen Rahmen für die Auswahl, den Einsatz und die Vergütung von V-Leuten im Zuständigkeitsbereich des Bundesamtes für Verfassungsschutz geschaffen.

Bildung & Soziales:

Frage 7:

Erste Studien weisen darauf hin, dass Migrant*innen und Menschen mit Migrationsgeschichte in verschiedenen Bereichen der Wohlfahrtspflege unterversorgt sind. Finden Sie, es ist notwendig, Maßnahmen zur interkulturellen Öffnung in den Bereichen Gesundheit, Altenpflege, Kinder und Jugend und Familie voranzutreiben?

Antwort:

Die SPD setzt sich für eine interkulturellen Öffnung in Altenpflegeeinrichtungen, Wohlfahrtsverbänden, öffentliche Verwaltungen und weiteren Einrichtungen ein. Wir wollen, dass sie sich migrations-, kultur-, und religionssensibel aufstellen. Dabei werben wir dafür, interkulturelle Öffnung als Teil der Gesamtstrategie einer Organisation zu begreifen. Die SPD will, dass die interkulturelle Organisations- und Personalentwicklungspolitik zivilgesellschaftlicher Organisationen und die Einbindung von Migrantenorganisationen stärker gefördert werden. Wir werden uns dafür einsetzen, dass die bestehenden Regelungen für gleichen Zugang zu Gesundheits-, Altenpflege-, Kinder-, Jugend- und Familienförderung auch tatsächlich eingehalten werden.
Wir wollen unseren Sozialstaat noch besser machen. Dafür schaffen wir u.a. eine Bürgerversicherung, in die alle einzahlen und durch die alle die notwendigen medizinischen Leistungen bekommen. Eine Zwei-Klassen-Medizin soll es nicht länger geben. Unser Ziel ist es, ungleiche Gesundheitschancen bei Gesundheitsförderung, Prävention, Versorgung, Rehabilitation und Pflege zu erkennen und abzubauen.
Zudem werden wir das Bundesprogramm Soziale Stadt weiter ausbauen. Es fördert Bürgerbeteiligung, das zivilgesellschaftliche Engagement und das Quartiersmanagement. So unterstützen wir lebendige Nachbarschaften und den sozialen Zusammenhalt.

Frage 8:

Schule ist kein diskriminierungsfreier Ort. Es mangelt Schüler*innen, Eltern und Lehrkräften bspw. an Anlaufstellen, wenn Diskriminierungen vorkommen, oder für Fortbildungen. Als Anlaufstellen könnten Diversity-/ Gleichstellungsbeauftragte an Schulen beauftragt sowie Stadt- oder landesweite Beschwerdestellen etabliert werden. Sind Sie dafür, dass der Bund modellhaft Beschwerdestellen für Diskriminierungen im Bildungsbereich initiiert?

Antwort:

Für die SPD ist Schule ein Ort der Bildung, der Wertevermittlung und der Lernort für lebendige Demokratie. Die größte und beste Investition in Schule sind daher gut qualifizierte und gut bezahlte Lehrkräfte, und das von der Kita über die Schule bis zur Hochschule. Und natürlich braucht Schule gutes Lern- und Lehrmaterial, das die Lebensrealität und die Vielfalt von Lebensmodellen altersgerecht abbildet.
Darüber hinaus wollen wir die Aus- und Weiterbildung der Lehrkräfte in Schulen weiterentwickeln, denn Lehrerinnen und Lehrer müssen sich immer wieder auf neue Herausforderungen einstellen – auf die kulturelle Vielfalt und die Vielfalt von Lebensmodellen an ihrer Schule, auf das gemeinsame Lernen von Kindern mit und ohne Behinderung, auf ganztägigen Unterricht oder auf neue Entwicklungen in der digitalen Bildung. Die „Qualitätsoffensive Lehrerbildung“ von Bund und Ländern werden wir deshalb fortsetzen und weiterentwickeln. Eine zeitgemäße Aus- und Weiterbildung der Lehrkräfte schließt in unseren Augen dementsprechend den Themenblock Diskriminierung und insbesondere Strategien dagegen mit ein.
Neben der bundeszentralen Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS) gibt es ein ausdifferenziertes Netz an Beauftragten sowie zahlreiche weitere Beratungsstellen für Betroffene von Diskriminierung in Deutschland. Innerhalb dieser mit ganz unterschiedlichen Zielstellungen und Aufgaben arbeitenden Anlaufstrukturen haben sich Stellen herausgebildet, die auf die Beratung der Betroffenen von Diskriminierung spezialisiert sind. Diskriminierung im Bildungsbereich, u.a. auch an Schulen, spielt dabei natürlich eine Rolle. Aus dem Bericht der Antidiskriminierungsstelle des Bundes wissen wir, dass sich viele Ratsuchende direkt an diese Stellen wenden oder von der Beratung der ADS an diese verwiesen werden, da Betroffene die wohnortnahe und niedrigschwellige Unterstützung schätzen bzw. diese Stellen in ihrer Kommune oder ihrem Bundesland besser kennen. Die Landschaft dieser Beratungsstellen für Betroffene von Diskriminierung zeichnet sich noch als äußerst heterogen aus. Sie bildet sich derzeit aus staatlichen Landesantidiskriminierungsstellen, einigen kommunalen Stellen sowie unabhängigen zivilgesellschaftlichen Antidiskriminierungsstellen, die z. T. im Antidiskriminierungsverband Deutschland (advd) dachverbandlich organisiert sind. Gleichzeitig entwickeln sich neue Strukturen von staatlichen und nichtstaatlichen Anlaufstellen. Eine Befragung der ADS hat ergeben, dass die Hälfte der Stellen in immerhin über 70 Prozent ihrer Fälle zu einer für die Betroffenen zufriedenstellenden Lösung beitragen kann.

Der Bericht der unabhängigen Antidiskriminierungsstelle konstatiert allerdings die Notwendigkeit des Ausbaus der Beratungsstrukturen. Der Ausbau sowohl der staatlichen wie auch der nicht-staatlichen Beratungsstrukturen ist deshalb zu prüfen – allerdings sind hier insbesondere Länder und Kommunen in der Pflicht.

Frage 9:

Viele Kinder und Jugendliche wachsen von Geburt an mit mehreren Sprachen auf. In den formalen Bildungseinrichtungen wird diese Realität wenig abgebildet und Modellkonzepte werden nicht flächendeckend umgesetzt. Sollten Maßnahmen zur Förderung der Muttersprache bzw. der Mehrsprachigkeit in Kindertageseinrichtungen und Schulen Ihrer Meinung nach gestärkt werden?

Antwort:

Wir werden auch weiterhin Vielfalt fördern und uns für ein inklusives Bildungssystem einsetzen. Das heißt weg von „Defiziten“ und „Störungen“, hin zu Ressourcen und Herausforderungen. Wir werben dafür, dass alle Bildungseinrichtungen diesen Blickwinkel einnehmen. Dadurch wollen wir mehr Gerechtigkeit im Bildungsbereich erreichen, mehr Teilhabe, weniger Frustration und mehr Engagement beim Lernen.

Mit guter sprachlicher Bildung wollen wir einen Beitrag zur Bildungsgerechtigkeit leisten. Alle Kinder sollen darin unterstützt werden, ihre Interessen und ihre Weltsicht zu äußern.
Wir wollen, dass alle Kinder Wertschätzung und Respekt erhalten- auch für ihre Besonderheiten. Dazu zählt auch die Anerkennung einer anderen Muttersprache und Mehrsprachigkeit. Durch die Erfahrung anderer Sprachen lernen Kinder u.a., sich in andere hineinzuversetzen und erweitern ihren Erfahrungshorizont.

Wir begrüßen, dass in allen frühkindlichen Bildungsplänen der Bundesländer Sprachförderung selbstverständlicher Bestandteil ist. Es gibt u.a. auch Ausführungen zu Mehrsprachigkeit, das Kennenlernen anderer Sprachen und zum Teil auch explizit zu interkulturellem Lernen. Wir werden uns dafür einsetzen, dass diese Vorgaben für Kitas und Schulen weiterentwickelt und auch tatsächlich in den Bildungseinrichtungen berücksichtigt werden.

Migration & Bürgerrechte

Frage 10:

Migration und Integration sind, obwohl sie parteiübergreifend als zentrale gesellschaftliche Aufgabe betrachtet werden, in den Institutionen auf Bundesebene kaum sichtbar. Dies macht eine nachhaltige und gesamtgesellschaftliche Migrations- und Integrationspolitik schwierig. Sollte es Ihrer Meinung nach ein eigenständiges Ministerium für Migration & Partizipation geben?

Antwort:

Die Zuständigkeiten für Migration und Integration sind derzeit auf viele Ministerien verteilt. Wir wollen dieses wichtige Zukunftsthema ministeriell stärker bündeln. Die zentrale Zuständigkeit dafür sollte an ein starkes Fachministerium angedockt werden. Wir möchten, dass Integration nicht sicherheitspolitisch, sondern gesellschaftspolitisch gedacht wird. Hierzu bedarf es der Herauslösung von Kompetenzen aus dem Innenministerium.

Frage 11:

Etwa 3,5 Mio. Menschen dürfen sich in Deutschland nicht an Wahlen beteiligen, obwohl sie zum Teil seit Jahrzehnten in Deutschland leben und arbeiten. Ihre griechischen oder polnischen Nachbarn hingegen dürfen seit 1992 zumindest auf kommunaler Ebene mitbestimmen. Sind Sie für die Einführung des kommunalen Wahlrechts für sog. Drittstaatsangehörige?

Antwort:

Wir setzen uns seit langem ein für die Ausweitung des Wahlrechts auf dauerhaft ansässige Drittstaatsangehörige auf kommunaler Ebene.

Frage 12:

Türkische Staatsbürger*innen benötigen für die Einreise nach Deutschland – ob aus beruflichen Gründen, zum Familienbesuch oder für Reisen – nach wie vor ein mit etlichen Hürden verbundenes Visum. Sind Sie dafür, die Visavergabe für türkische Staatsbürgerinnen und –bürger zu liberalisieren?

Antwort:

Die SPD ist dafür, dass die Visavergabe erleichtert wird – wenn die Bedingungen erfüllt sind. Die Visaliberalisierung mit der Türkei ist ein Thema, das in die Zuständigkeit der EU fällt. Auf dem EU-Türkei-Gipfel am 18.3.2016 hat man sich auf eine weitere Beschleunigung der Visaliberalisierung verständigt. Voraussetzung bleibt allerdings, dass die Türkei alle Bedingungen der Ende 2013 vereinbarten Roadmap zur Visaliberalisierung erfüllt. Dies ist leider bis heute nicht der Fall. Es bestehen unter anderen nach wie vor Defizite beim Datenschutzgesetz und insbesondere bei der Anpassung der Terrorgesetzgebung. Die türkische Regierung ist daher weiterhin dringend aufgefordert, die von ihr eingegangenen Verpflichtungen zu erfüllen, damit die EU die Visaliberalisierung umsetzen kann.

Frage 13:

Ein erheblicher Teil der türkeistämmigen Deutschen kam ursprünglich im Zuge von Anwerbeabkommen zum Arbeiten nach Deutschland. Heute ist Einwanderung zum Zwecke der Arbeit, der Ausbildung oder des Studiums nur (noch) stark eingegrenzt möglich. Sollte es Ihrer Meinung nach – wie in vielen anderen Ländern – ein umfassendes Einwanderungsgesetz geben?

Antwort:

Wir werden ein Einwanderungsgesetz schaffen, mit dem wir die Einwanderung qualifizierter Arbeitskräfte nach Deutschland besser steuern können. Mit unserem Einwanderungsgesetz wollen wir ein flexibles und an der Nachfrage nach Fachkräften orientiertes Punktesystem nach kanadischem Modell einführen, das Kriterien wie berufliche Abschlüsse, Berufserfahrung, Sprachkenntnisse, Alter und Integrationsfähigkeit berücksichtigt. Wer ausreichend fachliche Qualifikationen und ein Jobangebot hat, kann nach Deutschland einwandern. Wie viele qualifizierte Fachkräfte pro Jahr über das Punktesystem in unser Land kommen können, soll flexibel über eine Quote gesteuert werden. Die Quote soll sich an der Lage auf dem deutschen Arbeitsmarkt orientieren und jedes Jahr neu festgelegt werden. Sowohl für potenzielle Einwanderer als auch für die hiesige Bevölkerung wird transparent dargestellt, nach welchen Kriterien Erwerbsmigration in Deutschland geregelt wird. Zudem wollen wir perspektivisch die Vielzahl bestehender Regelungen und Aufenthaltstitel bündeln und mehr Übersichtlichkeit und Transparenz im deutschen Einwanderungsrecht schaffen.

Frage 14:

Unsere Gesellschaft ist vielfältig, viele Menschen vereinen in ihrer eigenen Identität mehrere Kulturen, Sprachen und Länder, weil bspw. sie selbst oder Familienangehörige nach Deutschland eingewandert sind. Befürworten Sie, dass Menschen in Deutschland mehrere Staatsangehörigkeiten haben dürfen?

Antwort:

Ein modernes Staatsangehörigkeitsrecht ist eine wesentliche Voraussetzung für Integration. Wir setzen uns weiterhin für die Akzeptanz von Mehrstaatigkeit für in Deutschland geborene Kinder ausländischer Eltern sowie bei Einbürgerungen ein. Für in Deutschland geborene Kinder ausländischer Eltern haben wir die Optionspflicht abgeschafft. Wir stehen weiterhin zu dem Prinzip der Mehrstaatigkeit.

Arbeitsmarkt

Frage 15:

Der Name (ob etwa türkisch oder deutsch klingend) hat neben anderen Merkmalen nachweislich Auswirkung darauf, ob Bewerber*innen für ein Vorstellungsgespräch eingeladen werden. Setzen Sie sich für die standardmäßige Einführung von anonymisierten Bewerbungsverfahren bei Stellenausschreibungen ein?

Antwort:

Bei Bewerbungen kommt es – häufig auch unbewusst – zu Diskriminierungen, etwa aufgrund des Geschlechts, Aussehens, Alters oder eines Migrationshintergrundes. Wir setzen uns für anonymisierte Bewerbungen ein, um Fairness im Bewerbungsverfahren herzustellen.
In unserem Land haben rund 20 Prozent der Menschen einen Migrationshintergrund. Wir wollen, dass sich der Anteil von Menschen mit familiären Einwanderungsgeschichten auch in der Zusammensetzung des öffentlichen Dienstes niederschlägt. Zielvorgaben, Ausbildungskampagnen und faire Bewerbungsverfahren unterstützen diesen Prozess. Dazu gehört auch die Offenheit gegenüber unterschiedlichen Kulturen, die wir in allen gesellschaftlichen Bereichen umsetzen wollen.

Frage 16:

In einem Ende Juni 2017 veröffentlichte Bericht an den Bundestag weist die Antidiskriminierungsstelle des Bundes auf diskriminierende Strukturen in der Arbeitsvermittlung insbesondere in Bezug auf Migrant*innen hin (sowohl bei den Jobcentern als auch den Arbeitsagenturen). Planen bzw. unterstützen Sie konkrete Vorhaben, um Diskriminierung bestimmter Bevölkerungsgruppen im Bereich der Arbeitsvermittlung entgegenzusteuern?

Antwort:

Wir haben den rechtlichen Rahmen in den vergangenen Jahren mehrfach angepasst, um Asylbewerbern und Geduldeten den Zugang zum Arbeitsmarkt zu erleichtern und Ausbildungsförderinstrumente für sie zugänglich gemacht. Zusätzliche Mittel für Eingliederung und Verwaltung sind dafür ebenso Voraussetzung wie ausreichende und gut qualifizierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Jobcentern.

Die von der Antidiskriminierungstelle in dem Bericht, datiert vom 30. Juni 2017, vorgebrachten Umstände waren uns nicht bekannt. Wir sind dabei, den Bericht auszuwerten und die daraus notwendigen Schlussfolgerungen zu ziehen. Aufgrund der sehr späten Veröffentlichung ist dieser Prozess noch nicht abgeschlossen. Diskriminierung bestimmter Bevölkerungsgruppen in der Arbeitsvermittlung durch Arbeitsagenturen und Jobcentern sind inakzeptabel und müssen umgehend unterbunden werden. Weiterhin sind Vorkehrungen zu treffen, dass dieses in Zukunft ausgeschlossen ist.