„Ich möchte nicht nerven, aber ich möchte es öffentlich sagen:
Ja, ich bin im Jahr 2022 an einer schweren Depression erkrankt und ich habe es überlebt.“
„Es ist 03:36 Uhr Montagnacht oder Dienstagmorgen. Es ist (leider) nicht unüblich, dass ich zu dieser Zeit noch am Schreibtisch sitze. Mein Beruf bringt das mit sich. Aber dieses Mal ist es leider privat. Ich trenne mein politisches Dasein sehr streng von meinem privaten Dasein. Ob in Kleidung, im Agieren, in der Kommunikation und im Vorgehen: Es gibt einen deutlichen Unterschied zwischen dem Politik-Kevin und dem privaten, familienmenschen und Papa-Kevin. Aber leider muss ich dieses Mal die Grenze zwischen Privat und Öffentlich vermischen und weil es aktuell Politiker (ja ich meine dieses Mal bewusst nur Männer) gibt, die mit meiner Erkrankung 2022 Gerüchte schüren und sie mittlerweile mein Privatleben betreffen, muss ich wohl einen reinen Tisch machen. Ich weiß nicht, ob das Folgen für meinen politischen Beruf oder später für meinen privaten Beruf – Lehrer in Berlin – hat, aber diese Befürchtungen treten für mich gerade in den Hintergrund.
Es tut mir leid, dass ich jetzt damit wohl Menschen nerve, weil sie sich zurecht Null für mein privates Leben und meine Gesundheit interessieren, sondern nur auf den Politiker-Kevin abzielen. Aber zum Schutz meiner Persönlichkeit und meiner Familie, welche in den letzten Wochen immer wieder mit Polizeischutz leben musste, ist es nur gut, wenn ich einfach reinen Tisch mache und Gerüchten und der aktuellen menschlicher Zerstörung meiner Person entgegenwirke. Daher hier die Wahrheit über mein Leben und leider meiner Krankheit im Jahre 2022:
Aufgrund einiger privater Schicksalsschläge bin ich im Jahre 2022 an einer schweren Depression erkrankt. Weil ich es nicht akzeptieren wollte, ist diese Erkrankung von leichter negativer Verstimmung in einer sehr schweren Depression im Laufe des Jahres 2022 geendet, die mich fast mein Leben gekostet hätte.
Angefangen hat es mit schlaflosen Nächten. Ich konnte nicht mehr als zwei Stunden nachts schlafen. Das über Monate und jede Nacht nur zwei Stunden. Ich weiß heute nur zu gut, warum Schlafentzug eine Foltermethode ist, denn mich hätte sie fast gekillt. Aus diesen schlaflosen Nächten entstand Grübeln und ich konnte mein Kopf bzw. die Gedanken irgendwann einfach nicht mehr kontrollieren. Daraus entstanden wiederum unglaubliche körperliche Schmerzen. Obwohl ich viele Ärzte aufgesucht habe, konnte niemand was Körperliches finden. Ich bin nachts aufgewacht und ich hatte neben höllischen Schmerzen in den Beinen und Genitalien das Gefühl, dass mich jemand erwürgt. Ich hatte, obwohl ich wusste, dass niemand da ist, das Gefühl, jemand drückt mir den Hals zu. Jeden Tag das Gefühl zu haben, ich werde gewürgt, einfach so mitten am Tag, obwohl niemand da ist, ist wirklich die Hölle. Dazu die höllischen Schmerzen in den Beinen, Gliedern und Füßen, ständig einen Puls über 110 Schlägen pro Minute und niemand konnte mir helfen, weil niemand etwas Körperliches finden konnte. Obwohl mir bewusst war, dass ich wahrscheinlich an einer Depression erkrankt bin, wollte ich es nicht wahrhaben, habe es versucht zu ignorieren, habe versucht mir mit krachender Niederlage selbst zu helfen und ich habe weiter im Beruf gemacht, weil mich der Beruf am „normalen Leben“ gehalten hat. Ich war trotz allem Leid über 14 Stunden täglich arbeiten, habe mich um meine Kinder gekümmert, versucht ein „normales Leben“ zu simulieren, habe viele Menschen bzgl. meiner Gesundheit belogen und habe versucht zu überleben. Ich habe in Notaufnahmen gesessen, in der Hoffnung Hilfe zu finden, und nebenbei online in Fraktionssitzungen, Ausschüssen, Besprechungen, Verhandlungen oder Bezirksverordnetenverssammlungen verbracht. Doch niemand, wenn ich mich schon mal der Medizin geöffnet habe, hat mir helfen wollen oder können. Meine Depression wurde mit jeder Woche schlimmer und ich war irgendwann so fertig, dass ich über eine halbe Stunde gebraucht habe, um mich für Socken zu entschieden. Ich konnte nicht mehr einkaufen, weil ich nicht mehr wusste, wie das geht. Ich konnte nicht mehr U-Bahn fahren und bin zu Terminen von Lichtenberg bis Charlottenburg gelaufen. Ich war privat nicht mehr in der Lage, Entscheidungen zu treffen und am Ende nicht mehr selbstbestimmt, sondern Sklave meiner Gedanken und meiner Seele. Die Bezirksverordnetenversammlung im Februar, die letzte vor der Pause, habe ich unter höllischen psychischen und körperlichen Schmerzen ertragen und trotzdem habe ich auch noch da das Schauspiel des handlungsfähigen Politikers aufrechterhalten. Niemand hat was gemerkt bzw. wirklich was gesagt zu mir. Doch das war zu viel für mich. Ich habe auf Arbeit noch funktioniert. Ich habe Entscheidungen getroffen, konnte Strategien entwickeln und habe geführt. Im Privaten war ich Null in der Lage dazu und ich war dort nicht mehr in der Lage Entscheidungen zu treffen. Ich konnte nicht mehr einkaufen und habe vom Lieferdienst gelebt. Letztlich konnte ich nicht mal mehr das Rathaus betreten, weil ich Stunden davorstand, ohne die Kraft zu haben, einzutreten. Ob wohl ich wollte, hat mich meine Seele bestimmt und abgehalten.
Eine Freundin, meine Kinder, meine Familie und mein Team haben mich gerettet. Mein Team hat mir verboten, nachdem ich mehr als 25 Kilo abgenommen hatte, nicht mehr klar war und einfach nur noch schlecht aussah, weiterzuarbeiten und eine Freundin wollte mich bei sich aufnehmen, hat mich dann aber, nachdem ich in keiner Notaufnahme aufgenommen wurde, in eine Klink gefahren. In dieser Klinik, und weil ich freiwillig gesetzlich versichert bin, danach in einer Tagesklinik, wurde mir geholfen. Ich danke der Oberbergklinik und der Tagesklinik vom Königin Elisabeth Herzberge Krankhaus, dass sie mich in sehr guter Zusammenarbeit geheilt haben. Ich weiß nicht, ob man sagen kann, dass man von einer sehr schweren Depression geheilt ist. Aber dank der ganzen Hilfe, geht es mir heute besser als vor der Erkrankung der Depression. Ich bin glücklich und dankbar für mein Leben.
Ich danke all den Menschen und Freunden – auch aus der Politik – die zu mir gestanden und mich unterstützt haben. Ich danke, dass sich mit Liebe neben mir gelegt wurde ein ganzes Wochenende, während ich nicht aufstehen konnte und, dass ich in alle Notaufnahmen dieser Stadt mit Liebe begleitet wurde. Ich danke, dass meine Kinder immer wohl behütet waren und auf sie aufgepasst wurde. Sie über Wochen nicht zu sehen, hat mir das Herz zerrissen.
Was Menschen meiner Person wegen durchlitten haben, verschwiegen haben bis heute, und immer noch bei mir sind, ist unglaublich. Ich muss mich entschuldigen bei meinen Kindern, die mit 3 und 4 Jahren ihren Helden, ihren Papa gerettet haben vor dem Freitod und es tut mir leid, dass sie – ohne es zu wissen – diese Bürde schon tragen müssen. Ohne sie wäre ich nicht mehr auf dieser schönen Welt.
Ich schäme mich, dass ich so lange versucht habe, mich gegen die Anzeichen der Depression zu wehren und nicht Hilfe akzeptiert habe. Ich schäme mich dafür, dass ich während der Behandlung in der Tagesklinik, nachmittags und abends schon wieder Politik gespielt habe und auf den Bühnen dieser Stadt und in Veranstaltung präsent war. Ich danke allen, die bei aller Ablehnung und Schweigsamkeit von mir, zu mir gestanden haben. Auch wenn man viel zu lange auf Hilfe wartet, und viele Kliniken überfordert sind mit der medizinischen Hilfe, die benötigt wird und Menschen viel zu lange warten auf Hilfe bei psychologischen Erkrankungen, danke ich der Medizin, danke ich der Oberbergklinik und dem Königin Elisabeth Herzberge Krankenhaus, dass sie mir helfen wollten und konnte. Diese Hilfe hat über 7 Monate gedauert und hat mich gerettet.
Ich danke allen Menschen, die ich bei dieser Reise zu mir selbst kennenlernen durfte und freue mich, dass einer davon „Sido“ ist, der sich ja mittlerweile offen bekennt. Es ist gut, wenn Personen (VIP) Signale setzen. Auch wenn viele „Prominente“, die ich in der Klinik kennenlernen durfte, sich noch nicht bekannt haben, hoffe ich, dass wir alle gemeinsam dafür kämpfen, dass die Erkrankung der Depression eine anerkannte Krankheit in der Gesellschaft wird. Ganz ohne Scham, die auch ich immer noch ab und zu fühle. Denn ich habe in den letzten Monaten auch Menschen in den Kliniken kennengelernt, die heute schrecklicherweise nicht mehr unter uns sind, weil sie die Leiden nicht mehr ertragen und sich für den eigenen Tod entschieden haben. Jeder einzelne Tod trifft mich sehr, weil er mir Angst macht. Aber meinen Kindern, meiner Familie und meinen Lieben – aber vor allem mir selbst – habe ich ein Versprechen gegeben und das breche ich nicht.
Wir haben in unserer Gesellschaft noch einen langen Weg zu gehen, was das Anerkennen von der Erkrankung Depression angeht. Ich fühle mich geheilt, aber ich habe Respekt davor. Ich habe viele vor fast einem Jahr in der Klinik kennengelernt, welche heute noch mit der Depression kämpfen. Ich hatte Glück und habe es geschafft. Aber ich danke Menschen wie Kurt Krömer, Oliver Kahn, Sido, Thorsten Sträter und vielen anderen, dass sie Depression als Krankheit benennen, sich dazu bekennen und Tabus brechen. Wir müssen mehr werden und dazu stehen, weil die Scham vor der Krankheit Depression Menschen in den Tod bringt und wie alle zu lange gewartet haben, bis wir uns medizinische Hilfe geholt oder endlich bekomme haben. Deutschland muss mehr tun, damit Menschen mit psychischen Erkrankungen schnell geholfen wird. Das ist klar. Aber vor allem, müssen wir es genauso feiern, wenn jemand von Depression sich gesundet hat, wie ein Fußballer, der nach dem Kreuzbandriss nach Monaten mal wieder eingewechselt wird.
Es tut mir leid, dass ich so viele Worte wählen musste, um annährend meine Situation im Jahr 2022 zu beschreiben, aber kürzer habe ich es nicht geschafft. Ich hoffe, dass Sie trotzdem folgen konnten.
Ich bin sehr dankbar, dass ich Teil der Menschheit auf dieser Erde bin. Ich danke allen, die mir Liebe schenken und mich tragen. Ich danke allen, die Kritik an mir als Politiker oder Menschen üben, weil ich so ein besserer Mensch werden kann. Aber vor allem danke ich meinen Kindern: Ihr habt euren Helden Papa mit 3 und 4 Jahren das Leben gerettet. In Liebe Papa-Kevin!“ Wir rocken das: #EinfachMachen“
Mit freundlichen Grüßen
Kevin Hönicke